Das Tröpfchenmodell
In den Diagrammen im vorherigen Abschnitt haben wir gesehen, dass die mittlere Bindungsenergie pro Nukleon bei mittelgroßen Kernen am größten ist. Der Verlauf der Kurve im Diagramm lässt sich mit dem sogenannten “Tröpchenmodell“ des Atomkerns erklären.
Die Kernkraft oder starke Wechselwirkung
Wie bereits beschrieben, muss es eine anziehende Kraft zwischen den Nukleonen geben die stärker ist als die zwischen den Protonen abstoßende Coulombkraft. Da die Coulombkraft mit Abnahme des Abstandes quadratisch zunimmt, ist diese zwischen zwei Protonen innerhalb eines Atomkerns außerordentlich groß (bei einem Abstand von 10-15m zwischen zwei Protonen ergibt sich nach dem Coulombgesetz eine abstoßende Kraft von ca. 230N!).
Die für den Zusammenhalt zuständige anziehende Kraft zwischen den Nukleonen wird als Kernkraft, starke Kernkraft oder auch starke Wechselwirkung bezeichnet.
Aus Streuversuchen mit Teilchen an Atomkernen hat man erkannt, dass die Kernkräfte, die die Nukleonen zusammenhalten, nur eine sehr kurze Reichweite besitzen.
Die Reichweite dieser Kernkraft beträgt nur etwa rK = 1,5 ∙ 10-15 m. Der Radius eines Nukleons beträgt etwa r0 = 1,3 ∙ 10-15 m. Das bedeutet:
Kernkräfte wirken nur zwischen benachbarten Nukleonen.
Die elektromagnetischen (Coulomb)kräfte dagegen nehmen mit dem Quadrat des Abstandes ab (s.o.) und reichen damit unendlich weit.
Bei entsprechend kleinem Abstand sind die Kernkräfte wesentlich größer als die elektromagnetische Kraft. Diese Art von Wechselwirkung wird als starke Wechselwirkung bezeichnet.
Die Kernkräfte wirken gleichermaßen auf Protonen wie auf Neutronen.
Das Tröpfchenmodell des Atomkerns
Der Zusammenhalt eines Atomkerns lässt sich mit der Analogie eines Wassertröpfchens beschreiben:
Ein Wassertröpfchen ist ein inkompressibles Gebilde, welches aus vielen Wassertröpfchen zusammengesetzt ist, die durch Kohäsionskräfte zusammengehalten werden.
Einen Atomkern kann man sich ähnlich wie in der Abbildung links als Gebilde vorstellen, welches aus Protonen (rote Kugeln) und Neutronen (weiße Kugeln) zusammengesetzt ist, die dicht gepackt sind und durch die starken Kernkräfte zwischen den Nukleonen zusammengehalten wird.
Wie die Kohäsionskraft, die nur zwischen benachbarten Atomen bzw. Molekülen wirkt, wirkt auch die starke Kernkraft nur zwischen benachbarten Nukleonen. Sie werden praktisch wie durch Klebstoff zusammengehalten.
Gegenüber dem Wassertröpfchen gibt es im Atomkern jedoch zusätzlich die abstoßende Coulombkraft, die zwischen den Protonen wirkt.
Da die Neutronen nicht der Coulombkraft unterliegen, tragen sie wesentlich zum Kernzusammenhalt bei.
Sowohl der Radius als auch das Volumen des Atomkerns sind von der Anzahl der Nukleonenzahl (Massenzahl) abhängig. Während das Volumen proportional zur Anzahl der Massenzahl zunimmt, ist der Kernradius proportional zur dritten Wurzel aus der Massenzahl:
Es gilt:
Für das Volumen einer Kugel gilt
Damit gilt
und entsprechend für den Kernradius
bzw.
In guter Näherung gilt für den Kernradius:
Mit diesem Tröpfchenmodell des Atomkerns, das 1935 von C. F. von Weizäcker (1912-2007) entwickelt wurde, kann man den unterschiedlichen Energieinhalt pro Nukleon von leichten, mittleren und schweren Kernen erklären:
Dass die mittlere Bindungsenergie pro Nukleon bei kleinen und großen Kernen kleiner ist als bei mittelgroßen Kernen, bedeutet, dass die Nukleonen weniger fest zusammengehalten werden. Dies lässt sich mit Hilfe des Tröpfchenmodells folgendermaßen erklären:
Große Kerne:
Je größer der Kern ist, umso mehr Protonen enthält er. Die abstoßende Coulombkraft wird mit wachsender Kernladungszahl immer größer und verringert den Zusammenhalt.
Kleine Kerne:
Bei kleineren Kernen sitzt ein größerer Anteil von Nukleonen an der Oberfläche des Kerns als im Inneren. Diese haben weniger Nachbarn, zwischen denen die starke Kernkraft wirkt, daher werden sie weniger fest zusammengehalten.
Bei mittelgroßen Kernen dagegen befinden sich viele Nukleonen innerhalb des Kerns und haben direkte Nachbarn, zwischen denen die starke Kernkraft wirkt. Eine noch größere Anzahl ändert daran nichts wesentliches mehr, aber je mehr Protonen sich im Kern befinden, umso mehr wirkt sich die abstoßende Coulombkraft auf den Kern aus.